>> Das werden wir büssen <<
Route: Arnoga – Passo Val Viola – Alpe Campo – Schmugglertrails – San Romeiro – Tirano – Grossetto
Streckenlänge und Höhenmeter: Lang, aber nicht so hoch. Angaben werden nachgereicht
Motto des Tages: „Das werden wir büssen, macht aber nix“
An diesem Morgen wirken wir alle eine wenig unausgeschlafen und Roberto merkt beim für italienische Verhältnisse
sehr ordentlichen Frühstück an: „, Brutal, von dera Fresserei hob i an Ruhepuls von 120ge aufwärts g’habt, da kann’st einfach nimmer gscheid schlaffa, a Wahnsinn...“ Alle nicken zustimmend und haben in dieser Nacht wohl
Ähnliches erlebt. Mein persönlicher Ruhepuls wird kurz nach der Abfahrt gleich noch weiter in die Höhe getrieben: Schaltauge verbogen und Bremsbeläge am Ende. Ein aufmerksamer TransAlper hätte dies wohl am Abend beim obligaten
Materialcheck sofort bemerkt – doch wir haben diesen Check gestern natürlich ausfallen lassen... Das Schaltauge ist kein Problem. Doch die neuen Bremsbeläge wollen einfach nicht in die Zangen passen und nur mit sanfter Gewalt
schafft es Hans, die Dinger da irgendwie hinein zu manövrieren. Schon wieder Zeit verloren und wir müssen doch dringend Strecke machen...
Die Auffahrt durch das schöne Val Viola ist angenehm, die anschließende (teilweise) Aufschiebung zum Passo Val
Viola führt über eine alte Militärpiste, später auf losem Schotter und Geröll und ist – trotz moderater Steigung – gar nicht so einfach zu befahren. Trotzdem stehen wir schon bald oben am Pass-Schild und bereiten uns auf die
Abfahrt vor, die zunächst aber keine ist. Denn wir müssen auf einem Steig ein ganzes Stück durch verblocktes steiles Gelände hinunter zu den Almwiesen, die den Lac Viola umgeben und sich in das Val di Campo hinein ergiessen.
Als Belohnung für das Radl-durch-die-Gegend-Lupfen folgt nun ein herrliches Stück Jubler-Trail auf dem von Alpenrosen und alten Lärchen kitschig gesäumten und immer leicht abfallenden Weg am Lago di Saoseo vorbei zur Alpe
Campo, wo wir am Tag zuvor schon sein wollten und nun Pause in der angenehm wärmenden Sonne machen.
Was dann folgt ist die ganz zu Beginn des Berichtes erwähnte „Sonderprüfung“: Über die Schmugglertrails der Alta
Rezia soll es überhalb des Val di Poschiavo am Hang entlang hinüber nach Italien in’s Valtellina und nach Tirano gehen. Wir waren alle sehr gespannt darauf, was uns da erwartet. Dass der Begriff „Trail“ nicht per se bedeutet,
dass es abwärts geht, ist mir schon klar. Doch diese Schmugglertrails machen zu Beginn erst einmal sehr deutlich, dass Schmuggler damals eben zu Fuß unterwegs waren und nicht mit dem Bike... die Wege sind entsprechend angelegt.
Steil durch den Wald nur handtuchbreit aufwärts, in enge Kehren gelegt, gewinnen wir langsam an Höhe und
schrauben uns hinauf zur ersten Querfahrt, die dann allerdings einfach wunderbar anspruchsvoll und spaßig durch den Hochwald führt. Immer wieder finden die Sonnenstrahlen den Weg durch das grüne Dickicht dieses Feenwaldes und
leuchten auf das hellgrüne Moos der Hänge, die wie mit dem Leuchtstift gezeichnet einen verzauberten Weg zu weisen scheinen. Uns gegenüber steht der Piz Palü stolz und erhaben, weit unten im Tal glitzert der Lago di Poschiavo
und vor uns... liegt jetzt plötzlich eine stramme Schotter-Auffahrt. Und das, wo es gerade so schön geworden und ich ins Schwärmen geraten wäre...
Diese vermaledeite Auffahrt in der prallen Sonne mit schön weichem tiefem Schotter schüttet mir – jedenfalls
vorübergehend – das Kraut aus und schon bald sehe ich meine Kameraden enteilt weit vor mir immer gerade so um die Kehren kurbeln, dass ich nur noch einen kurzen Blick auf sie erhaschen kann. Ätzend, ah geh, leck mich doch! Bei
jeder Kurbelumdrehung höre ich die Kette leise das Wörtchen „d-r-u-c-k“ surren, doch fühlt sich das ganze eher so an, als würden unbekannte Kräfte ständig mein Radel festhalten... Naja, vermutlich wieder alles eine rein mentale
Frage und bei Dauerpuls 175 inklusive einer knallroten Birne bildet sich so mancher wahrscheinlich noch viel Schlimmeres ein...
Wie ich nur vom Hörensagen weiß, finden wir gleich nach dieser „wunderbaren Auffahrt“ die Fortsetzung unseres
unglaublichen Schmuggler-Trails in Höhenlage mit gigantischer Aussicht und spannenden kleinen Schlüsselstellen. Kurz vor der hübschen alten Kapelle San Romeiro steht Bruno mit der Kamera unten an einer letzten dieser
Schlüsselstellen und freut sich wie ein Schneekönig auf jeden, der da hinunter rumpelt. Natürlich will sich – bis auf mich, weil mir das heute mittlerweile vollkommen wurscht ist – keiner lumpen lassen. Auch Roberto, der vor
dieser Stelle schon abgestiegen ist, springt wieder auf seinen Gaul und reitet Rodeo hinunter, nachdem Bruno mit erwartungsfrohem fiesen Grinsen anfeuernd hinauf gerufen hat: „Geht scho, Roberto, alles voll fahrbar...he he he“.
Nach einer kurzen Verschnauf- und Genuß-Pause cruisen wir auf einem schönen Weg, später auf kurzen steilen
Pfaden durch die Weinberge ohne besondere weitere Vorkommnisse hinunter nach Tirano, das wir schon von weit oben sehen können. Alle brauchen nun erst mal ein wenig Erfrischung und so versorgen wir uns in einem kleinen
Drogeriemarkt mit dem Nötigsten. Wir haben noch ganz schön Strecke bis nach Grosetto vor uns und radeln bald wieder im Sechserzug los, um möglichst Kräfte schonend, aber doch „mit mittlerem Druck am Pedal“ dorthin zu gelangen.
Weil uns der Radlweg an der Strasse entlang zu langweilig erscheint und das GPS diese Alternative anzeigt,
wählen wir einen Saum rechts der Adda, welcher spannender zu sein verspricht. Dieser Weg ähnelt sehr den Ampertrails nach Dachau und gefällt uns zunehmend. Auch ein großes langes bodenlos tiefes Schlammloch hindert uns kaum an
der Weiterfahrt. Doch irgendwie wird der Weg immer wilder und verwachsener, bis wir an eine Mauer gelangen, ab der kein Weg mehr weiterführt. Ohne Buschmesser ist hier nichts zu machen und schon halb in Lovero wenden wir, um
dieselbe Strecke auf der anderen Seite des Flusses noch einmal fahren zu dürfen...
Wenn man so will, dann war dies der einzige richtige „Verfahrer“ auf unserer gesamten TransAlp-Route und damit
auch Zeugnis ausgezeichneter Planung im Einklang mit einer höchst professionellen Interpretation des von gleich 3 GPS Geräten sowie eines täglich in Betrieb genommenen Roadbooks angezeigten Routenverlaufes (1 GPS Gerät ist
mittlerweile ausgefallen und kann nur noch aufzeichnen. Und Roadbook Nummer zwei liegt immer noch in meinem Rucksack, um etwaigen Beschädigungen durch wilde Stürze zu entgehen).
Schließlich erreichen wir nach flotter Fahrt und wieder gut gelaunt Grossetto, unser heutiges Etappenziel, und
erfragen uns eine sehr angenehme Unterkunft. Nach dem üblichen Pflege-Zeremoniell treffen wir uns hungrig und durstig zum kurzen Spaziergang durch Grossetto in das zum Hotel gehörende, etwas abseits gelegene Ristorante. Und
hier werden wir wieder einmal außerordentlich gut und damit absolut montagsradlerwürdig verpflegt! Besonders der extrem süffige Wein, den uns Jessica (so heißt die nette Kellnerin) freundlich lächelnd in immer wieder frisch
aufgefüllten Karaffen bringt, hat es uns Montagsradler-Freunden angetan.
Der Weg zurück ins Hotel ist demnach geprägt von allerlei Lausbubenstreichen, die einem wohl nur dann einfallen,
wenn man im Verlaufe eines Abends dem Geist des Weines literhaft begegnet... Kurz bevor Bruno und ich in den Hoteleingang abbiegen, entdecken wir leider noch eine Bar direkt an der Strasse. Der Reihe nach erscheinen alle
Montagsradler, die bereits auf ihrem Zimmer waren, ebenfalls wieder unten in dieser Bar. Und wir genießen zu sechst die Ausgelassenheit dieses Abends in vollen Zügen. Sollte man eine Entschuldigung für ein solches Verhalten
finden müssen – was wir ja nicht müssen – würde ich an dieser Stelle nur wiederholen: Das ist schließlich eine TransAlp und keine Cappuccino-Runde. Eben!
Als wir irgendwann später endlich im Zimmer sind, sagt Bruno nur noch gackernd: „Das werden wir morgen büßen, he hehe...“
|