>> Des gibt’s doch gar ned, so schön! <<
Route:
Heidelberger Hütte – Fimberpass – Zuort– Val Sinestra – Sent – S-Charl – Costainertal – Alpe Astra – Passo di Costainas – Val Mustair – Lü – Santa Maria
Streckenlänge und Höhenmeter: 56 km, 1.628 hm
Motto des Tages: „Des gibt’s doch gar ned, so schön!“
Die Sonne strahlt schon wieder aus voller Kraft und das Frühstück auf der Heidelberger Hütte ähnelt – wohl
auch deshalb – eher einem Viehauftrieb. Offensichtlich wollen alle los, und zwar zur gleichen Zeit. Und jeder will das Müsli, das eigentlich schon beim anderen in der Schüssel liegt. Wir frühstücken trotzdem einigermaßen
gemütlich, bedienen uns dort und da direkt aus der Küche, weil die offiziellen Schüsseln schon längst leer gefr.... äh gegessen sind, und lassen uns nicht so arg in Aufbruch-Stress bringen. Schließlich ist unsere Etappe heute
als Genuss geplant.
Nach dem obligaten Startfoto vor der Heidelberger Hütte (Edi hat diesmal seinen Striptease vergessen) rollen wir
wenig später hinüber zum Einstieg des Fimberpasses. Weit über uns sehen wir schon den ganzen Kirchenchor von gestern Abend hinaufwandern und die Parole ist sofort klar: „DRUCK! Männer, jetzt brauch’ ma Druck!“ Wir befürchten
nämlich, dass der Chor – oben am Pass angekommen –sofort wieder zu trällern beginnt und die ganze schöne Stimmung versaut...
Also vorbei an den fröhlichen Sängern und eine viertel Stunde später stehen wir 6 auf dem zugigen Fimberpass und
geniessen in Ruhe die herrlichen Ausblicke. Waren die Eindrücke in den Tagen zuvor schon teilweise überragend, verschlägt es uns hier oben erst einmal die Sprache. Ringsrum nur Berge, Täler, Gipfel, Landschaft, Weite. Und vor
uns einer jener Holy Trails, der zu den schönsten der ganzen Alpen gehört. Alle Schalter auf Genuss, mit Respekt und Demut. Das ist pures Glück und wir gratulieren uns gegenseitig, in dem wir uns ein verzücktes Grinsen
schenken.
Der Trail beginnt zornig und steil auf losem Geröll, schlängelt sich später am Hang entlang in Steilstufen
hinunter. 80-90% fahrbar (für einige von uns natürlich alles fahrbar) bei hundertprozentiger Konzentration. Für mich ist dort und da schon ein großes Stück Überwindung gefordert („Edi, soll ich des wirklich fahren?“ „Logisch,
des fahr’n mir jetzt, geht scho.“), und es ist
einfach nur geil! Wir rauschen kontrolliert 1400hm in die Tiefe und würden, in Zuort angekommen, am liebsten gleich noch Mal von oben anfangen. Doch wir haben heute ja auch noch was anderes vor. Über herrliche Almwiesen trollen wir uns unter großem Gejuchze in der Sonne hinunter ins Val Sinestra, wo wir wieder einen technisch-verzwickten Trail finden. Der wird auch von Wanderern begangen und so kommen uns einige insgesamt sehr kurvige Holländerinnen entgegen, die den Bruno fast vergessen lassen, dass es auf dem Trail ja auch noch andere Kurven gibt...
Kurz vor den Hängebrücken über Sent übe ich mich aus unbekannten Gründen noch einmal im melodramatischen Abstieg
über den Lenker und lande sehr unsanft, was ich am Knie sofort und am Handgelenk erst später merke. Natürlich darf ich mir gleich diverse freundliche und sicher wohlgemeinte Sprüche meiner Freunde anhören, die ich
außerordentlich genieße. Jeder von Euch weiß, was ich meine.
Weil sein Lenker genau so breit ist, wie das Holzgeländer der Hängebrücken, radelt Hans sogar auch dort noch
drüber. Er ist eben doch ein Hundling. Wir anderen schieben, natürlich nur wegen völlig überdimensionierter Lenkerbreiten, schön brav rüber, ratschen noch ein wenig über die diverse Kurven dieser schönen Gegend und kurze Zeit
später spuckt uns dieser an- und aufregende Abenteuer-Trail über Sent wieder aus, wo wir uns – auch wegen des nun einsetzenden Regens – erst einmal eine ausführliche Weißbierpause und sehr leckere Nudeln gönnen. Weil wir nun im
Land von Heidi und Toblerone sind, kann Edi erstmalig seine schweizerischen Fremdsprachkenntnisse voll zum Einsatz bringen.
Der Regen hört nicht ganz auf, doch wir müssen weiter über Scoul hinauf nach S-Charl ins Costainer-Tal. Die
Sache zieht sich, und wie es hier aussieht, wenn die Sonne scheint, kann keiner von uns so recht sagen, weil wir wegen des Sauwetters alle die Köpfe ganz weit eingezogen haben. Schließlich erreichen wir völlig durchnässt
S-Charl, wo wir uns kurz unterstellen. Ich bin eigentlich in Gedanken für heute schon fertig mit diesem Anstieg, als ich erfahre, dass wir ja noch zur Alpe Astra und dem Pass da Costainas hinauf müssen. Klar, in meinem Roadbook
stünde das ja auch groß und deutlich. Doch das liegt seit dem ersten Sturz sicherheitshalber hinten im Rucksack verstaut. Da g’hörts hin. Also weiter. Ist ja alles rein mental...
Plötzlich reißen die Wolken auf, die Sonne blinzelt durch und schließlich gewinnen die wärmenden Strahlen den
Kampf um’s bunte Bemalen dieser herrlichen Hochalm-Landschaft. Wir genießen die Auffahrt in vollen Zügen und nach einiger Zeit taucht weit oben am Rand dieses kitschig-schönen Naturgemäldes die Tamangur-Hütte (oder Sesvenna
Hütte oder Alpe Astra) auf, als hätte der liebe Gott noch einen kleinen Tupfer in dieses wahrhaft göttliche Werk setzen wollen. Des gibt’s doch gar ned. Das Leben ist schön!
Wir saugen die Eindrücke in uns auf und lassen uns Zeit, manche von uns genießen eine kurze Erfrischung in der
Viehtränke und alle machen Fotos. Doch schließlich müssen wir weiter und werfen die Rucksäcke auf den Rücken. Nur Rudi nicht. Er fährt munter eine Melodie pfeifend ohne seinen Rucksack los. Und weil wir richtige Montagsradler
sind, machen wir ihn zunächst natürlich nicht darauf aufmerksam, sondern warten, bis er es selber merkt. Erst, als alle unter einem Zaun hindurch krabbeln müssen und mit dem Rucksack daran hängen bleiben... ist Rudi gleich
wieder bei uns.
Auf schmalen, sanft ansteigenden Wegen, die so richtig Spass machen, erreichen wir den Pass da Costainas und
überschreiten damit den Alpenhauptkamm. Diese Route ist eigentlich nichts für „Mentale-Stärke-Freaks“, weil man über diesen wunderschönen Pass auf herrlichen von Krüppelkiefern gesäumten schmalen Wegen einfach und relativ
unbeschwert fahren kann. Doch im Grunde unseres Herzens sind wir Montagsradler ja echte Genießer und darum ist dieser Pass für uns gerade richtig.
Die Abfahrt ins Val Mustair und nach Lü ist spassig. Zunächst ein steilerer winkliger Trail, dann Schotterwege,
die sehr viel später zum lustigen Highspeed-Rausch auf kurvigem Asphalt werden. Da jetzt wieder Regen einsetzt, sind wir trotzdem froh, schon bald unsere Unterkunft in Santa Maria zu erreichen.
Raus aus den Klamotten – duschen, waschen und föhnen (die Hosenpolster, damit sie schneller trocknen) und ab zum
Diner, wiederum begleitet von einigen feinherben, hopfen- und hefehaltigen Südhanglagen aus Weihenstephan. Dass dieses edle Getränk auch auf geeignete Weise kredenzt gehört, ist der Bedienung allerdings zunächst noch unbekannt.
So bringen wir ihr bei, wie ein Weihenstephaner Weißbier eigentlich ins Glas kommt. Später funktioniert das super bei ihr, denn sie hat aufgrund der Vielzahl an von uns bestellten Weißbieren ausgiebig Gelegenheit zum Üben.
Der Abend endet, wie er für echte Montagsradler optimalerweise enden sollte und wir stolpern – rechtschaffen
müde und aus rein medizinischen Gründen wiederum ordentlich mit Flüssigkeit versorgt – hinauf in unsere schönen Zimmer, wo es recht bald still wird. Nur der Regen prasselt noch immer auf den Balkon und wir träumen von den
herrlichen Eindrücken dieses Tages...
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